Fotografie und Krummau - 09.11.2010-15.01.2011

FOTOGRAFIE UND KRUMMAU

Zwei Ausstellungen von Bernd Hahn und Michael Lange im Kulturrathaus und in der galerie am blauen wunder 

 

Anfang November wurde im Rahmen der Deutsch-Tschechischen Kulturtage im Kulturrathaus eine Ausstellung des Malers Bernd Hahn und des Photographen Michael Lange unter dem Titel „Faszination Krummau – Versuch einer Topografie“ eröffnet. Bernd Hahn entdeckte die südböhmische Renaissance-Stadt photographisch aus dem Blickwinkel der dort entstandenen Stadtlandschaften von Egon Schiele und Michael Lange in seiner ganz eigenen Technik der direkt vor Ort entstehenden Doppelbelichtung, die Details der Stadt zu freien Kompositionen verarbeitete. Die kurz darauf begonnene Ausstellung der galerie am blauen wunder zeigt unter dem Titel „Fotografie“ freie – nicht in Krummau entstandene – photographische Arbeiten der beiden befreundeten Künstler aus den Jahren 2009 und 2010.

Bernd Hahn, geboren 1954 im sächsischen Neustadt, studierte von 1975 bis 1979 in Dresden Malerei und Graphik, wobei seine wirklichen bildnerischen Idole Schwitters, Beckmann und vor allem Hermann Glöckner waren. Ende der siebziger Jahre, als die Neuen Wilden kamen, verließ er dagegen den Bereich des Gegenständlichen völlig. Mit den Kommilitonen Kammerer, Wenzel und dem 2001 verstorbenen Andreas Küchler begründete er 1982 die Künstlergruppe und Druckwerkstatt B 53. Mit seinem unverwechselbaren Werk zwischen Informel, Konstruktion und Farbfeld-Malerei ist er heute weithin bekannt. Um so bemerkenswerter ist, daß er in photographischen Arbeiten der letzten zehn Jahre die Hyperrealität banaler Gegenstände neu entdeckt.

Michael Lange, Jahrgang 1959, hat nach Lehre und Abitur in Dresden eine Photographenausbildung an der TU absolviert und ist als Photograph seit 1991 freischaffend. Seit 1993 ist er Mitglied im Bund Deutscher Grafiker und 2006 wurde er in die Deutsche Gesellschaft für Photographie berufen. Neben Arbeiten für die Industrie und verschiedene Institutionen war er für renommierte Verlage wie Stern und Focus tätig. 2003 war er mit einer Bronze-Medaille einer der Preisträger der Internationalen Kalenderschau Stuttgart.

Bernd Hahn lernte Cesky Krumlov bzw. auf habsburgisch Böhmisch Krummau, eine der schönsten Renaissance-Städte Europas am Oberlauf der Moldau, Mitte der achtziger Jahre noch im realsozialistischen Verfall kennen. Inzwischen ist es ein Touristenmagnet, dessen Attraktivität beinahe an die Salzburgs heranreicht. In der internationalen Kunstszene ist Krummau zum Begriff avanciert, seit hier 1993 eine Gruppe von Persönlichkeiten, darunter der New Yorker Serge Sabarsky, das Egon Schiele Art Centrum begründet hat. Krummau ist die Geburtsstadt der Mutter von Egon Schiele und seit 1908 bis zu seinem frühen Tod 1918 zentrales Thema seiner Stadtlandschaften. Bernd Hahn war von diesen 2004 in einer Wiener Ausstellung fasziniert und begeisterte 2006 Michael Lange für das Projekt, so daß seitdem beide mehrfach gemeinsam nach Südböhmen reisten und jeder in seiner Weise die Stadt photographisch erschloß.

In seinen freien Arbeiten hat Michael Lange eine ganz eigene Ästhetik entwickelt, die die Grenzen der Photographie durchbrechen will und aus ganz realer Photographie ätherisch-schwebende Kompositionen von gleichsam malerischem Wert gewinnt. Aus den morbiden Décollagen der Zeit werden funkelnde Edelsteine und minimalistische Gemälde höchster Intensität. Scheinbar Klares wird verrätselt durch an die Schmerzgrenze reichende Genauigkeit und Präzision. Unscheinbarste Gegenstände vom Schrott werden arrangiert zu dramatischen Stilleben surrealer Vielschichtigkeit.

Photographie war für Bernd Hahn immer wichtig als Abgrenzung zu und alternative Entspannung von seinem malerischen Werk. Aber direkt einbezogen in dieses Werk wurden sie früher eher zufällig in gelegentliche Photoübermalungen und ähnlichem. Erst als er um 2000 in die digitale Photographie einstieg, begann er gezielt, beängstigend einfache und leere Atelierstilleben zu komponieren. Zunächst mit banalen Gegenständen aus dem Ateliernachlaß von Hermann Göckner , die er damit zu Ikonen erhob. Später begann er gezielt, solche Gegenstände zu sammeln, um sie in einfachsten Konjunktionen zu arrangieren. Hier sind es Kreisel, Kegel, Kugeln, Trichter, Kannen und Töpfe. Der Loschwitzer Buchhändler rief spontan: Der Morandi der Photographie!

Der Photograph gewinnt aus realer Photographie nahezu abstrakte Gemälde und der abstrakte Maler postuliert triviale Gegenstände zu konkreten Ikonen.

                        Gunter Ziller

 

Ausstellung im KUNSTFOYER im Kulturrathaus

Königstraße 15, Mo bis Do 8 bis 18 Uhr

Freitag 8 bis 15 Uhr, bis 6. Januar 2011

Ausstellung in der galerie am blauen wunder

Pillnitzer Landstraße 2, Do bis Sa 14 bis 18 Uhr,

bis zum 15. Januar 2011

 

Über Weihnachten und den Jahreswechsel sind

beide Ausstellungen Freitag und Sonnabend geschlossen.

 


Versuch einer Topographie

 

Häuser, Dächer und ein Fluss - Bernd Hahn (geb. 1954) und Michael Lange (geb. 1959) präsentieren in einer Sonderausstellung im Kulturrathaus Dresden vom 9.11.2010 bis zum 16.01.2011 Ansichten der Stadt Krumau an der Moldau.

Der große, nüchterne und klar geschnittene Raum ermöglicht einen offenen und zwanglosen Dialog mit den Bildern. Wenn Sie mögen, können Sie die folgenden Zeilen beim Betrachten der Fotographien unterstützen, indem sie Ihnen ein paar Informationen zur Entstehung und zu den Hintergründen der Motive liefern.

Inspiriert durch eine Ausstellung von Egon Schieles Landschaften im Leopold Museum in Wien 2005 unternahmen beide Künstler – teilweise gemeinsam - verschiedene Reisen nach Krumau.

Die dort entstandenen Aufnahmen knüpfen – wie Ihnen vielleicht bereits aufgefallen ist -  an Schieles Bilder der Stadt am Fluss an und präsentieren bekannte, aber auch neuartige Sichten auf die Häuser, Mauern, den Fluss und die Dächer der Stadt.

Egon Schiele, ein Maler des Expressionismus, beschäftigte sich im böhmischen Krumau, dem Heimatort seiner Mutter intensiv mit der Darstellung von Häusern bzw. Häusergruppen. Der Ort schmiegt sich in einer dreifachen Schleife an den Fluss Moldau, von dieser Krümmung mit Auen erhielt er seinen Namen: Krum(m)au.

Die Stadt wurde 1309 gegründet, die Häuser wurden von einer schützenden Mauer umschlossen und präsentieren noch heute den wehrhaften Festungscharakter.

Zum Wesen der Ausdruckskunst von Schiele gehört es, dass das Emotionale über das Eindruckhafte dominiert. Dazu bieten seine reifen Häuserlandschaften ausgezeichnetes Anschauungsmaterial; gerade deshalb, weil ein Vergleich mit dem Dargestellten vielfach möglich ist. Schiele hält sich an das Besondere der anregenden Motive. Sie sind zwar in expressionistischer Art verändert und gesteigert, bleiben jedoch in ihrer Eigentümlichkeit erhalten. (Nach: Egon Schiele. Landschaften von Rudolf Leopold, München Prestel Verlag 2005, S. 11)

Auch die Fotografien von Lange und Hahn eröffnen einen künstlerischen und dennoch sehr spezifischen, die Eigenarten betonenden Blick auf die Stadt an der Moldau.

In enger Anlehnung an Schiele präsentieren die Fotografien Hahns bekannte Motive, wie den markanten Blick aus der Vogelperspektive auf die engen Dächer der Stadt.

Langes detaillierte Fassadenbilder, die durch Überlagerungen der Doppelbelichtung entstehen, sind mehr als momentane Zustandsaufnahmen. In ihrer Verdichtung machen die Aufnahmen Langes sichtbar, was man sonst nur mit dem inneren Auge sehen kann. Seine Doppelbelichtungen zeigen Verwitterungen und Veränderungen alter Mauern und Hauswände, die die Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Vergangenheit thematisieren.

Schiele verstarb im Jahr 1918 im Alter von nur 28 Jahren an der Spanischen Grippe. Trotz einer außerordentlich kurzen künstlerischen Schaffensperiode gilt er heute als einer der „großen Neuerer der bildenden Kunst“. Kaum ein anderer Expressionist vermochte wie Schiele mit der Kontur nicht nur den Umriss, sondern auch die Räumlichkeit des Dargestellten zu vermitteln – und darüber hinaus oft noch die Emotionen, die die jeweiligen Motive in ihm hervorriefen“. (Leopold 2005, 207) In diesem Jahr wäre er 120 Jahre geworden.

Hahn lebt heute als Maler und Grafiker in Burgstädtel bei Röhrsdorf. Lange wohnt und arbeitet als Fotograf in Quohren. Beide Künster haben zur Zeit eine weitere gemeinsame Ausstellung in der Galerie am Blauen Wunder.

Dr. Ernestine Höhne