Malerei + Grafik - 07.11.2009-30.01.2010

AUSSTELLUNG VERLÄNGERT BIS 30. JANUAR 2010

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als ich gefragt wurde, ob ich diese Ausstellung eröffnen wolle, durchdrangen mich zwei Gedanken gleichzeitig, ohne dass sie einander störten. Der eine hieß: „Aah! Bernd Hahn...!“ Der andere: „Gut! Den wollte ich sowieso sprechen.“

Nun kann man das kaum Gedanken nennen, und deshalb sagte ich sofort zu. Erst später kam mir zu Bewusstsein, dass: Mit jemandem sprechen... und: Über jemanden sprechen... zweierlei bedeutet. Da ich aber einmal zugesagt hatte, bleibt mir jetzt nichts anderes übrig, als Ihnen zu erklären, was es mit den beiden Reaktionen auf sich hat mit dem: Das „Aah! Bernd Hahn!!“ galt der Dauer unserer Bekanntschaft. Das: „Gut! Den wollte ich sowieso sprechen“ - hängt mit einem Projekt zusammen, das dem Thema „Dresdner Kolorismus“ gewidmet sein wird. Zwischen beidem stehen 35 Jahre, aber, wie sich noch zeigen wird: doch ein und dasselbe Thema.

Die Geschichte geht so: Bernd Hahn und ich sind uns in den frühen 70er Jahre begegnet. Damals hatten wir in der NVA zu dienen und - was lag näher in der Dumpfheit - wir unterhielten uns über Kunst. Bernd Hahn präparierte sich gerade für die Aufnahmeprüfung an der Dresdner Kunsthochschule, weshalb ich ihn für seinen Mut bewunderte. Und ich selbst bereitete mich darauf vor, meinem Interesse an der Kunst wenigstens irgendeine Idee für das spätere Leben zu entwinden. Selbst Künstler zu werden, schied für mich aus, so sehr ich mir das auch wünschte. Denn es fehlte mir, neben dem Verhängnis, relativ geschickt zu sein, auch jede andere Voraussetzung dafür.

Vor allem fehlte mir der Mut, mein Daseinsgefühl in Einklang zu bringen mit den Vorstellungen darüber, wie Maler in ihren Ateliers bei düsteren Gedanken hausen und mit grellen Farben einem wilden Zivilisationshass frönen - während an der Tür schon wieder eine schöne Frauen klopft. So bin ich aus reiner Verzagtheit Kunsthistoriker geworden.

Bernd Hahn sah ich über viele Jahre nicht. Als wir uns wiedertrafen, nach der Wende, wussten wir beide darüber Bescheid, dass zumindest die Sache mit den Frauen überall schwierig ist. Und nachdem ich seine Bilder gesehen hatte, war nicht weniger klar, dass auch die düsteren Gedanken und selbst der Zivilisationshass ein Irrtum gewesen sein mussten: Hahn, Kammerer und Wenzel waren nach Burgstädtel gezogen und hatten ihre Häuschen in jene wilde Idylle gebaut, die sie dann nicht malen mussten. Was aber blieb, war bei dem einen das mit den Farben und bei dem anderen die Ahnung, eines Tages auf die Dresdner Malerei zurückkommen zu müssen.

Hier schließt sich der Kreis. Als ich in den 90er Jahren Hahns neue Bilder sah, bin ich auf eine leise, freudige, ja innige Weise berührt gewesen von dem Gefühl, es mit einer stetig entfalteten und glaubhaften Bildauffassung zu tun zu haben. Sie war weit entfernt von den Versuchen anderer, dem Epochenbruch von 1989 mit einem Gesinnungswechsel zu antworten. Überall im Osten sah ich zunehmend das einzelne Freiheitsgefühl in einer Ästhetisierungstotale aufgehen, im Austauschbaren einer abstrakten Formesoterik, das heißt: vieles war in aller Gefälligkeit unspezifisch - das heißt: sich selbst und mir völlig fremd geworden.

Ganz anders bei Hahn: Aus seiner gegenstandsfernen Bildordnung schlug mir etwas Vertrautes entgegen, etwas, das auf dem leisen Anschlagen von Erinnerungen beruht. So ein Herkunftsgefühl ist tief emotional, wenn es Verweiskraft in sich trägt und etwas überpersönlich Erfahrenes in den Wohlklang einer persönlichen Bejahung hüllt. Bei mir als Preußen war das vielleicht noch immer das Dresdnerische Intermezzo meiner Jugend, als die Bilder von Jüchser, Wigand, Rosenhauer, Kretzschmar, Lachnit, Wilhelm und Kröner zu einer Art natürlichem Umgang gehörten. Sie alle hatten eine Traditionslinie begründen helfen, die es anderswo nicht gab. Fritz Löffler, der den Malern dieser Generation am nächsten gestanden hatte, bescheinigte ihrer Konfession des Schönen eine Gemeinsamkeit, die vielleicht keine Schule, aber doch eine Entwicklungsidee genannt werden konnte.

Er sagte, das war 1951: „Wer von der gegenwärtigen Malerei sprechen will, muss die Malkultur in den Mittelpunkt stellen, die ein Ringen um jeden Bildzentimeter voraussetzt. Es gibt keine Improvisation und Zauberei mehr, keine seelischen Eruptionen, Komposition und Farbe sind auf das genaueste abgewogen und langsam gewachsen. Diese Art, intensiv zu arbeiten, setzt die Erfahrung langer Jahre voraus, sie erweist sich als ausgesprochener Spätstil.“

Das Zufriedenstellende an diesem Zitat ist, dass jedes einzelne Wort auch auf die Malerei von Bernd Hahn zutrifft, obwohl er einer jüngeren Generation angehört. Auch bei ihm ist kein Bildzentimeter einfach so da oder wegen der zwar unbegründeten, aber delikaten Stelle geblieben. Es gibt auch bei ihm keine Improvisation und Zauberei, es sei denn, müsste man in diesem Falle hinzufügen, sie seien im Gerüst einer zwingenden Form wieder gebändigt worden. Nirgendwo auch seelische Eruptionen unter diesen Zeugnissen einer vollendeten Flächenkalkulation. Komposition und Farbe auf das genaueste abgewogen und langsam gewachsen, sagt Löffler - genau wie bei Hahn. Der Spätstil, der zuletzt angesprochen wird, bezieht sich nicht auf das einzelne Werk und auch nicht auf das einzelne Schaffen, sondern auf das lokale und geschichtliche Phänomen einer Dresdner Dominante.

Nimmt man die Löfflerschen Charakteristika also ernst und legt sie der Frage zugrunde, wo das Werk von Bernd Hahn etwa anzusiedeln wäre, dann müsste man auf diese Tradition verweisen, zugleich aber auch eingestehen, dass die Entwicklung mit ihm wohl einen Endpunkt erreicht hat.

Ich begründe das so: Zwar bestand die genannte Schaffenslinie in ihren Ausläufern bis zum Ende der DDR noch – das konnte man jüngst am Beispiel Egon Pukalls im Leonhardi-Museum sehen. Erfahren musste man dort aber auch, dass diese streng gebaute Malkultur in den Drangsalen der Formalismusdebatten und der Verbandsprotokolle zur kostbaren Hinterbliebenheit, zur Unterströmung des Ehemaligen verkümmert war. Pukalls Erinnerungsschau kam nicht zufällig einer Wiederentdeckung gleich. Über ihn und andere hinweg zogen ein didaktisch vertrockneter Nachimpressionismus, eine Art Neo-Expressivität innerhalb dessen, was sich als Junge Kunst einige Ungebärdigkeit erlaubte, und die auch das  Vorzeigen von Stilattrappen des Verismus bewerkstelligte – wegen des kritischen Gegenwartsbezuges. Das alles waren Rückbindungen an bestimmte Erbelinien, um innerhalb der starren Realismuskonzeption individuelle Aufbrüche zu stützen. Als retrospektive Kunstgegenwart jedoch bedeutete die Lage trotz glanzvoller Einzelwerke ein Ausharren im Stau. Manche gingen erst aus Dresden, dann ganz weg.

Wieder andere, auf die es mir heute Nachmittag ankommt, schwenkten ins Nebenrevier der Gegenstandsauflösung ab. Dort allein, so schien es, konnte man dem alt gewordenen Prinzip noch folgen und den Selbstwert der Farbe in einer Analytik der Fläche aufheben. Die von Fritz Löffler beschworene Malkultur fand sich zuletzt hier wieder, mochte deren Anlass auch nicht mehr das schöne Ding, nicht mehr ein Interieur sanft gebrochener Farben oder eine glutvoll gedämpfte Landschaft sein. Die Abwendung des Bilddenkens von einem wie auch immer gestalteten Motiv, bedeutete aber nicht nur eine innere Befreiung, sondern auch den Versuch, ein legitimes Herkommen auf ehrliche Weise weiterzuleben. Hornig, Veit Hofmann, Göschel, Hahn, um nur die zu nennen, taten den Schritt. Und sie erreichten neben der Hermetisierung der Lesbarkeit ihrer Bilder auch die Entideologisierung der Farbe. Rot und Blau konnten wieder rein erscheinen, ohne auf Himmel oder Fahne zu zeigen oder die Agonie des Fleisches oder Lachen von Opferblut. Leute wie Hahn empfanden in dieser mentalen Fixierung auch das Ermüden der Mittel. Was sollten die Debattenbilder, was ein Skizzieren auf dem Acker oder das Suchen nach dem unschuldigen Blick, wenn das Draußen eine lückenlose Lüge war.

Also haben einige im Sehen lieber das Licht zerlegt und den Schweigewert kristalliner Farbklänge untersucht. Auch dafür gab es ja eine kleine, aber wirksame Sondernachbarschaft, den Konstruktivismus rings um Hermann Glöckner, der hier aber nicht das Thema ist. Was Hahn weiterentwickelte, kam ja nicht daher, sondern es blieb in der Löffler-Reihe. Seine Farben verstanden sich immer noch als ein Material der sensuellen Zuweisung, auch wenn jetzt die Zuweisung nur noch in den Bildverhältnissen erfolgte und nicht mehr im Milieu des Augeneindrucks. Der Horizont öffnete sich dabei für Korrespondenzen zur Weltkunst und konnte gleichzeitig weit über die 60 vergangenen Jahre hinaus in die Geschichte zurückdringen. So findet man bei Bernd Hahn mit Klee, Schwitters, Rouault, Twombly oder Miro den disparatesten Ahnenverkehr, aber auch alles Delikate aus dem elbflorentinischen Genussrokoko: ein edles Schwarz, aber ohne knisterne Robe  //  das Ocker des Sandsteins, aber ohne Brühlsche Terrasse  //  den Pastellstaub einer rosigen Wange, aber ohne Liotard  //  oder das Grün und das Englischrot der Weinberge, aber ohne die Lößnitz: Es gibt Bilder, deren Linien und Streifen wie Farbauszüge aus dem Programm der Landschaft funktionieren, wenn man unter Landschaft auch den geistigen Raum versteht. Und doch bilden sie nichts als tiefenlose und unter sich verabredete Tonwerte, über die kein Blick mehr einem nachahmenden Endpunkt zuläuft. Die Streifen, Farbbahnen und Linien werden zu Restriktionsformen zwischen Kontur und Randpartie, zwischen Relief und Abklebetechnik, zwischen Farbträgerwahl und Riss aus der Hand. Es gibt Objekte, die aus dem Genügsamen kleinster Einträge leben, aus den Zeichen einer stillen Hinwendung, aus Spuren einer Behutsamkeit, mit denen etwas, was schon da ist, ein Fleck oder eine Faltung, gewürdigt und gesteigert wird. Man könnte auch sagen: Das ist eine Malerei, die von den Nebenbildern weg will. So kommt alles auch leicht und heiter herauf, erlöst von motivischer Anhaftung, frei von stilistischer Rechtfertigungslast und fern von bildungsverseuchter Metaphorik. Gerade das Gleichgewicht zwischen formaler Strenge und poetischem Farbsinn macht den Zauber dieser Streifenbilder aus, das vollkommen Unvermittelte zwischen der Subjektivität einer Flächenstruktur und der Objektivität jener Farbform, die einander definieren.

Neben solchen filigranen Arbeiten gibt es die Großformate. Das sind Verteilungsgebiete für breite Materialmassen, deren schiere Aufwendung jeden Gedanken an den koloristischen Zartsinn, um den es hier geht, zu verbieten scheint. Und doch ist es bemerkenswert, wie Hahn die Geometrie der Tafeln dazu benutzt, machtvolle Farbfelder zu Knechten raffinierter Randzonen herunterzuspachteln oder wie die Randzonen zu Gnadenakten eines Stillstands aufsteigen, der sich dem Versiegen einer durchgehenden Farbausbreitung verdankt. Rot, Orange, Gelb, Blau in geschlossenen oder aufgeklappten Formationen – sie drängen als Farbereignisse und Farbleiber in den Raum, weil ihre Strahlkraft wie ihre Objekthaftigkeit sie zu taktil erfahrbaren Augenvorkommnissen macht. Außerdem bilden sie untereinander monochrome Steigerungsattraktionen: Das Rot variiert im Rot, es gibt eine Nuancenverschiebung von Warm nach Kalt und jede Tafel wechselt im Minimalbereich die Temperatur oder wandelt sich in der Klanghöhe. Die groben Bilder sind subtile Manifestationen einer erlesenen Malkultur – was sonst?

Und so behält Löffler recht, wenn er dem vorher Gesagten nachträgt, es gehöre zum „Wesen dieses Spätstils, dass er keine Nachahmung verträgt“, weil ich darin recht habe, diesen Satz gerade auf Bernd Hahn zu beziehen. Denn der, darum geht es hier ja, ahmt nicht nach, was einstmals angelegt war, sondern er vollendet es, und zwar am stillen Punkt, auf eine gestenfreie, bescheidene, jedenfalls unspektakuläre Weise. Es sind Bilder für die Abseitigen, für Kenner, für Selbstversorger in Harmoniefragen und Geheimwissen. Denn das ist ja auch klar, jemand, der so in der Gegend bleibt wie Hahn, wird nicht weltberühmt. Gerade dafür aber, für das Ausbleiben des Triumphalen, bin ich diesem Maler unendlich dankbar, und auch dafür, dass hier einmal nicht unterwandert, interveniert oder abgekanzelt wird. Das ist es, was mich vor den Bildern auch locker macht: Sie unterrichten mich nicht, sie erörtern mich nicht, sie erziehen mich nicht - sie wollen nichts als sich. Darin kann man den Kern alles Schönen sehen. Zu ihm vorzudringen, sind 35 Jahre des Weges, das wollte ich sagen, nicht zuviel aufgewendet und jede Rede wert.

 

Halle/Saale, 06. November 2009                                                            Michael Freitag